Der Artikel im Stadtanzeiger kam gerade zur rechten Zeit. Meine aktive Laufbahn als Sesselpupser war gerade beendet und für die Rente hatte ich mir vorgenommen, die Welt mit einem Wohnmobil zu erkunden. Mit einem eigenen natürlich! Und der sehr positiv verfasste Bericht im Lokalblatt über die gerade frisch aufgenommene Wohnmobilproduktion im Nachbardorf bei Familie Sjersgrier gab meinem Vorhaben einen zusätzlichen Schub. Also überredete ich meinen betagten Ford Granada noch einmal, etwas mühsam zwar, aber nach diversen Einspritzungen in den Vergaser erfolgreich, zu den früher gewohnten Knattergeräuschen. Im Dorf angekommen, war die Passantin, die ich auf den Namen Sjersgrier ansprach, leider garnicht im Bilde. Erst als ich auf den Zeitungsartikel zu sprechenkam, die Wohnwagenfertigung, grinste sie ein wenig und erklärte mir den Weg: „ Nach der Kirche links, immer gerade weiter und bei der vom Blitz getroffenen kahlen Eiche dann rechts rein!“
Was für ein Glück, auf Anhieb eine so kundige Person getroffen zu haben, die auch noch trotz beträchtlichen Alters meinen einzuschlagenden Weg so präzise artikulieren konnte.
Nun, die Kirche war gleich erreicht, aber wie das in so kleinen bäuerlichen Dörfern halt manchmal vorkam, es ging hinter der Kirche nur in einer Richtung weiter, aber merkwürdigerweise nur nach rechts. Na, was blieb mir anders übrig, um dem Gekläffe der zum Angriff erhobenen kalbsgroßen Höllenhunde links hinterm Zaun schnell zu entgehen? Ab nach rechts! Die zwar schmale, aber gut asphaltierte Strasse ging leicht schlängelnd weiter. Bald schon waren die Überreste eines schwarz angesengten Baumes im Blickfeld. Aber eine Eiche war das nie und nimmer, eher eine Kopfweide. Und tatsächlich, dort bog ein schmaler Pfad ab, aber halt nur nach links. Was hilft da ein Nachsinnen über die rechts-linkslastige Orientierungsschwäche speziell bei älteren Damen. Ich erinnerte mich an mehrere, sehr unangenehme Ereignisse in Begleitung meiner Mutter, die mir auf dem Beifahrersitz, trotz ausgeprägter recht-links-Schwäche, den Weg zur einen oder anderen mir bis dato unbekannten Verwandtschaft weisen mußte, was zu häufigen Wendemanövern auf engsten Pfaden geführt hatte.
Nun, das Ende dieser nun rumpeligen, mit Schlaglöchern gesegneten Fahrt zur Produktionsstätte meines Traumfahrzeuges, schien erreicht. Eine Ansammlung von mehreren Hütten tauchte vor mir auf, von denen mir aber keine ausreichend schien für die Produktion von größeren Fahrzeugen. Na ja, vielleicht lagen die Fertigungshallen ja noch etwas weiter weg. Die völlig kaputtgefahrene Wegstrecke, die ich hinter mir hatte, deutete mir klar emsiges Befahren durch größere Gefährte an. Natürlich dachte ich dabei an gut gebaute, stromliniengeformte Campingfahrzeuge, die genau hier ihrem ersten Härtetest unterworfen werden.
Ein älterer Mann, grob gekleidet, mächtige Lederstiefel am Fuß, saß auf einem völlig aus der Fasson gegangenen Faß und hörte bei meinem Anblick auf, an einem Stock herumzuschnitzen. Ich fragte ihn halt, ob ich richtig sei bei Sjersgriers.
„He, wer soll das hier sein? Das hab ich noch nie gehört!“ „ He, Anna“, rief er in Richtung der nächstgelegenen Hütte, „kennst du Leute, die Ssjjeeersgriiiiier heissen?“
„ Ach Otto“, tönte es von da zurück, „du weißt doch, daß der Kerl von der Zeitung unseren Namen so schrecklich verhuntzt hat. Sag dem Herrn, daß wir Seitengruber heissen und frag ihn, was er will. Und biete ihm was zum Willkommen an!“
Da war ich denn doch am gewünschten Ort angekommen. Man bat mich einzutreten in die „gute Stube“, ein etwas dunkles Kabuff mit mittelalterlich anmutendem Mobiliar, das mir immerhin noch gut geeignet erschien, einen Kamin zu befeuern. Das Sofa, auf das ich gewiesen wurde, gab beim Niedersetzen heftig nach. Mein Gesäß machte kurz Bekanntschaft mit den Bodendielen, eine Staubwolke trübte die Sicht im Zimmer noch etwas ein. Nun war es an mir, mein Begehren darzustellen. Ich leitete es ein, indem ich das mitgebrachte Fläschchen Weizenkorn übergab und kurz kund tat, daß ich auf der Suche nach einem zu mir passenden Wohnmobil sei und es durchaus zu schätzen wüßte, daß in direkter Nachbarschaftein solches, sozusagen bio vom Hofladen, zu haben sei.
„ Das ist so ein Hobby von unserem Sohn“, meinte die Gastgeberin. „Der kommt sicher bald. Da darf ich sie mal erst zum Mittagessen einladen!“
Das schlug ich nun in froher Erwartung regionaler naturbelassener Kochgenüsse nicht aus und stimmte mich auf etwas Warten ein.
So fing denn die Bäuerin an zu werkeln, während der Hausherr einen neuen grünen Stock ergriff, um ihn kurz und klein zu schnitzen. Und schau an, die grünen Schnibbsel schienen essbar zu sein, denn sie wanderten vom Fußboden direkt in den Kochtopf. Na ja, dachte ich mit leichten Zweifeln, wenn die Anna die Dinger einige Zeit und bei genügend Hitze garkocht, sind wohl die Bakterien weg und das Zeug vielleicht sogar für Städter geniessbar. Mal sehen, was da sonst noch dazugemischt wird. Vielleicht sollte ich doch schon mal vorsichtshalber etwas husten, dabei würgen und so meine Wirtsleut auf einen angegriffenenMagenzustand vorbereiten.
Aber erstmal kam es nicht dazu, weil der Sohnemann eintrat und sogleich von seinen Eltern über mein Begehr aufgeklärt wurde. Er besann sich sofort seiner Pflichten als Gastgeber und Kundenbetreuer, kredenzte als Willkommenstrunk just den von mir mitgebrachten Korn und musterte mich dabei auffallend von oben bis unten.
„Wie groß sind sie?“, fragte er direkt. Also 1,81 einhalb steht in meinem Pass, aber der ist örmelalt und inzwischen denke ich, daß ich, meinem Alter geschuldet, bei 1,80 angekommen sein dürfte. Diese meine Aussage führte bei ihm zu sichtbar erkenntlichem Kopfschütteln, gefolgt von der Feststellung: „Hmmmm, in unserer Familie sind alle eine Ecke kleiner, meine Konstruktionspläne sind auf höchstens 1,70 ausgelegt. Da müssen wir wohl umplanen. Das gibt dann wohl eine Sonderanfertigung. Auch die Inneneinrichtung muß dann wohl geändert werden, Bänke, der Tisch und auch Klositz nebst Waschbecken müssen da entsprechend erhöht werden. Und dann erst die Dusche, Brause und Einstieg.“ Er murmelte noch so einige mir unverständliche Überlegungen vor sich hin, kam dann aber doch gleich zum Kern der Angelegenheit. Das ist ja eigentlich stets die Preisfrage, aber das erschien ihm wohl nebensächlich. Wichtig erschien ihm dagegen mein Zeitfenster.
Er fragte: „Wann soll denn ihre Fahrt losgehen? Wie sie ja wohl aus der Zeitung wissen, sind wir ja noch in der Planungsphase. Die Konstruktionszeichnungen habe ich sicher nächstes Jahr komplett fertig, dann fangen ich an, die Montagehalle zu bauen! Kostengünstig natürlich, alles in Eigenregie. So in zwei Jahren sollten wir dann soweit sein. Ach ja, wie wär es denn mit einer kleinen Anzahlung?“
Da kam er auch gleich ganz automatisch, der Husten, gefolgt von heftigen Krämpfen und Würgen. So ist er halt, mein angegriffener Magen. Und so war das denn auch genau der richtige Zeitpunkt, aufzuwachen.