Machen wir doch lieber einen allgemeinen Geschichtenthread, wo jeder seine Schwänke zum besten bringen kann! Ich denke da in meinem Falle etwa an den verpassten Flug anno '08, wo ich mit Papa und Onkel (nicht B) kurzerhand mit dem Auto nach Spanien gefahren bin - oder besser noch: Wo wir schon mal bei Spanien sind, da war ich im September auf Studienfahrt in Barcelona. Einer unserer Lehrer (Körner, Kunst und Sport, völlig verpeilt) kennt sich dort besonders gut aus, weil er einmal ein Semester studienhalber dort verbracht hat. Herr Körner ist darob der Meinung, die Stadt könne man am besten per pedes erkunden, was wir dann auch gemacht haben: Allein am zweiten Tag hat er uns acht Kilometer weit getrieben, all das unter glühender tropischer Sonne. Mittags dann schwärmten wir zum Essen aus, inzwischen in dem Vorort Gracia angelangt - wer schon mal da war, kann sich's ungefähr vorstellen. Gracia wurde recht spät eingemeindet und sieht deshalb auch heute noch aus wie der Archetyp einer spanischen Kleinstadt, soll heißen, ganz reizende Architektur, quäkende Blagen, alte spanische Großmütterchen usw.
Nachdem wir die Gegend auf Nahrungssuche heimgesucht hatten, trafen wir uns auf einem Platz, vor einem Café wieder. Ich und zwei, drei andere waren die ersten und setzten uns auf eine der herumstehenden öffentlichen Bänke. Wenig später kam der Rest unserer Mitschüler abzüglich etlicher Trödler.
Wir warteten eine Weile, aber niemand kam.
Außer einem der besagten spanischen Großmütterchen. Dieses war ein besonders kapitales Exemplar mit Falten à la Grand Canyon - hätte sie behauptet, cien y dies annos auf dem deutlich vorhandenen Buckel zu haben, hätten wir ihr das ohne Weiteres abgenommen.
Sie setzte sich auf unsere Bank und kicherte leise vor sich hin. "Gniähähähähä", sie fixierte uns kurz, "Knähä".
Wir zwinkerten freundlich zurück, wohlerzogen, wie wir waren. Dann fing sie an, Tierstimmen von sich zu geben, zunehmend lauter. Fing sie noch harmlos mit Katzen und Hunden an, steigerte sie sich in einem weiteren Crescendo zu Nilpferden mit Bronchitis.
Wir sahen uns erst gegenseitig konsterniert an und wogen ab, ob wir nicht doch lieber gehen sollten, aber andererseits: Wann bekommt man derlei schon mal in freier Wildbahn zu sehen? Außerdem lag ja noch eine halbe Bank zwischen uns.
Spätestens beim zweiten "HRRRRUUUUAAAAAH" ihrerseits konnten wir beim besten Willen nicht mehr an uns halten und prusteten völlig hemmungslos los, was sie zum Anlass nahm, mit einem irren Gackern einzufallen, das einer klassischen Oberhexe außerordentlich gut zu Gesicht gestanden hätte. Das berührte uns dann schon, vor allem, da es über den ganzen Platz hallte, die Eingeborenen sich langsam zu uns umdrehten und wir befürchteten, für die Szene verantwortlich gemacht zu werden.
Sie reaktivierte die Tierstimmen und rückte langsam näher, was vor allem mich als den Nächstsitzenden betraf. Aber abgesehen von ihrem fragwürdigen geistigen Zustand machte sie zwar einen nicht unbedingt harmlosen, doch zumindest freundlichen Eindruck.
Ein Kellner des Cafés rief ihr etwas unverständliches Katalanisches zu, sie antwortete in erstaunlich kohärentem Tonfall. Überhaupt, abgesehen von ihren Äußerungen bezüglich nilpferdianischer Bronchitis machte sie gar keinen so übergeschnappten Eindruck.
Herr Körner bat uns dann zu gehen.
In der nächsten Gasse übersetzte er uns ihre Antwort: "Nein, sie lachen nur über mich"
Sie war völlig klar im Kopf gewesen und von den Caféleuten geschickt worden, die uns nicht gerne vor ihrem Laden herumlungern sahen.