Nachdem die letzten Philosophie-Threads schon recht konkret waren, soll es hier mal ganz allgemein um die Frage gehen, welche Ethik eigentlich die richtige ist.
Gibt es überhaupt eine richtige Ethik oder ist eine Ethik immer nur in Bezug auf eine Kultur geeignet und für eine andere unpassend. Geht man von solchen relativen Ethikbegriffen aus, hat man allerdings das Problem, dass sich Menschenrechte und Menschenwürde nicht rechtfertigen lassen jedenfalls nicht global, sondern evtl. nur innerhalb der westlichen Welt. Auch Leben ist in einem solchen System kein allgemein gültiger Wert mehr: Leben ist weder positiv noch negativ, denn es ist einfach grundsätzlich nicht mehr objektiv bewertbar.
Ich gehe jedoch davon aus, dass durchaus eine allgemeine gesellschaftsunabhängige Ethik existiert und dass es nur schwierig ist, sie in einem theoretischen System darzustellen. Hier sind ein paar historische Vorschläge:
1. Utilitarismus (Bentham)
Eine Handlung ist gut, wenn sie den größtmöglichen Nutzen für alle von der Handlung betroffenen verspricht. Dabei beinhaltet Nutzen v.a. Glück (z.B. durch Erfüllung von Wünschen/ Erreichen von Zielen) und den Wert Leben.
Im Utilitarismus kann ein guter Zweck sämtliche Mittel heiligen; Menschen werden zu Gunsten der Nutzenmaximierung instrumentalisiert.
Beispiel: In einem Krankenhaus brauchen 5 Notfallpatienten dringend eine Organtransplantation. Die Organe können allerdings nicht rechtzeitig herangeschafft werden. Als vor dem Krankenhaus ein Obdachloser auftaucht, entschließt sich der Arzt, ihn umzubringen, um mit dessen Organen die 5 Patienten zu retten.
Aus utilitaristischer Sicht handelt der Arzt richtig, denn das Leben von 5 Patienten wiegt mehr als das eines Obdachlosen.
2. Der kategorische Imperativ (Kant)
Eine Handlung ist gut, wenn sie dem Kategorischen Imperativ entspricht: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.
Der kategorische Imperativ liefert Maximen sehr generelle Lebensgrundsätze wie Hilf allen Menschen in Not. Dadurch ist er äußerst situationsunspezifisch.
Beispiel: Ein wahnsinniger Psychopath bricht in das Haus des Richters ein, der ihn verurteilt hat, um sich an ihm zu rächen. Weil er ihn nirgends findet, frägt er den Butler, wo sich dieser versteckt hält.
Gemäß dem kategorischen Imperativ ist der Butler verpflichtet, das Versteck des Richters zu verraten, denn Lügen oder das Zurückhalten der Wahrheit sind aus Prinzip verboten.
3. Tugendethik (Aristoteles, Hume)
Eine Handlung ist gut, wenn sie Ausdruck einer Tugend ist. Dabei ist wiederum eine Tugend nach Hume definiert als eine Einstellung, die auf einem möglichst universellen Gefühl von Sympathie für alle Menschen basiert.
Moralisches Handeln kann hier also sehr subjektiv sein: Für den einen ist es ein Ausdruck von Sympathie, einem Menschen beim Selbstmord zu helfen, für den anderen gerade das Gegenteil. Außerdem steht gegnüber der eigentlichen Handlung viel mehr die Absicht im Vordergrund.
Beispiel: Ein Mann plant, eine Bank auszurauben. Als er bei seinen Vorbereitungen jedoch die hohen Sicherheitsvorkehrungen bemerkt, zweifelt er, ob er sein Vorhaben wirklich durchführen soll.
Aus tugendethischer Sicht ist das egal. Der moralische Fehler besteht allein in der Ignoranz der Interessen der Besitzer des Geldes, die schon vorher gegeben ist.
Ich persönlich tendiere eher zur Tugendethik. Mich würde aber auch interessieren, was ihr für das optimale Modell haltet (,falls es das gibt) :look: . Als Denkanstoß ist hier nochmal eine interessante Problemsituation:
Ein Beobachter steht an einem Bahngleis, an das mehrere Personen gefesselt sind während gleichzeitig unaufhaltsam ein Zug auf sie zurollt. Der Beobachter kann weder den Zug stoppen noch kann er rechtzeitig die Personen losbinden, er kann den Zug aber durch eine Weiche auf ein anderes Gleis umlenken, auf dem nur eine Person festgebunden ist.
Was ist die moralisch richtige Handlungsweise?
a) Er muss den Zug auf das andere Gleis umlenken (Position des Utilitarismus).
b) Er darf den Zug nicht umlenken (Position des kategorischen Imperativs).
c) Er soll das tun, was er will, nachdem er sich intensiv in alle Beteiligten hineinversetzt hat (Position der Tugendethik).
Denkbar wäre außerdem noch folgende Meinung:
d) Es ist egal. Da man Leben nicht abwägen darf, sind beide Handlungsweisen gleichermaßen moralisch richtig und falsch.
Dieses Problem besitzt übrigens noch einen zweiten Teil, der aber erst Sinn macht, wenn man sich über die obige Situation Gedanken gemacht hat