Demokratie. Und weiter?

  • Heutzutage scheint es Konsens zu sein, die Demokratie, insbesondere ihre Variante der repräsentativen Demokratie, als das Non plus Ultra der Staats- bzw. Verfassungsformen zu feiern, welche am Ende gar erst Gerechtigkeit, Freheit, Gleichheit und Humanismus - die großen Werte unserer Zivilisation - über die Menschen hernieder regnen hätte lassen.


    Doch ist der Mensch meiner Meinung nach dazu angehalten, zu hinterfragen, skeptisch zu sein - immer.


    Gerade deshalb kann ich es nicht billigen, wie in unserer heutigen Zeit die Demokratie fast schon a priori als unweigerlich wahrhaftige Konstution der Ideale der Menschheit glorifiziert wird. Diese Stellung unreflektiert zu übernehmen gehört zum guten Ton. Doch sollte es nicht dem modernen Menschen erlaubt sein, wie Kant es forderte, seine selbstverschuldete Unmündigkeit zu verlassen und sich seines Verstandes zu bedienen?


    Weshalb ich hier im Forum sehr gerne eine Diskussion diesbezüglich anstiften möchte: über die Stellung und das Wesen der Demokratie. Freilich, ist dies ganz und gar nicht "politisch korrekt", doch eine freie Gesellschaft muss auch immer wieder sich selbst infrage stellen. Ich glaube nicht an ein Ende der Geschichte, somit glaube ich auch nicht an ein Ende der gesellschaftlich-kulturellen Entwicklung. Zudem schon Aristoteles in der Antike die Demokratie nicht als "rechte" Verfassungsform, sondern radikal als "entartet" bezeichnete - sie auf eine Stufe stellte mit der Tyrannei.


    Darum also die Frage: Demokratie. Und weiter?

  • An sich ist die normale Demokratie ein absoluter Dispotismus, wie Kant in seinem "Entwurf zum ewigen Frieden" bewiesen hat. Lediglich die repräsentative Demokratie ist eine Möglichkeit, den ewigen Frieden zu erlangen. Natürlich nur im Idealfall, in der Realität wird es niemals einen ewigen Frieden geben, solange nicht alle so sind wie ich. :D

  • Tobius:
    "Heutzutage scheint es Konsens zu sein, die Demokratie, insbesondere ihre Variante der repräsentativen Demokratie, als das Non plus Ultra der Staats- bzw. Verfassungsformen zu feiern, welche am Ende gar erst Gerechtigkeit, Freheit, Gleichheit und Humanismus - die großen Werte unserer Zivilisation - über die Menschen hernieder regnen hätte lassen."


    **Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit etc. gehen nicht unbedingt auf die Demokratie zurück, sondern auf die Idee der Menschenrechte, die zwar oftmals in demokratischen Verfassungen verankert sind, aber von der Staatsform eigentlich unabhängig sind.
    Gefeiert wird eigentlich nur in den westlichen Nationen, USA und Europa, natürlich mit Ausnahme der Monarchien Großbritannien, Dänemark, Schweden, Spanien... also eigentlich nur in den USA, und die haben ne Präsidialdemokratie.


    Tobius:
    "Doch ist der Mensch meiner Meinung nach dazu angehalten, zu hinterfragen, skeptisch zu sein - immer. "


    **Kann man meinen, muss man aber nicht. Glücklicher wird man dadurch sicher nicht okok, utilitaristischer Ansatz hier (natürlich nach J.S.Mill).


    Tobius:
    "Gerade deshalb kann ich es nicht billigen, wie in unserer heutigen Zeit die Demokratie fast schon a priori als unweigerlich wahrhaftige Konstution der Ideale der Menschheit glorifiziert wird. Diese Stellung unreflektiert zu übernehmen gehört zum guten Ton. Doch sollte es nicht dem modernen Menschen erlaubt sein, wie Kant es forderte, seine selbstverschuldete Unmündigkeit zu verlassen und sich seines Verstandes zu bedienen?"


    **A priori wohl eher nicht, zumindest in Deutschland wars die Amis kamen, machten Demokratie und gingen wieder. Frankreich hats freiwillig übernommen, nachdem Tocqueville und Lafayette aus Amiland wiederkamen, aber auch Frankreich hat nur ne Präsidialdemokratie...


    Tobius:
    "Weshalb ich hier im Forum sehr gerne eine Diskussion diesbezüglich anstiften möchte: über die Stellung und das Wesen der Demokratie. Freilich, ist dies ganz und gar nicht "politisch korrekt", "


    **Die armen Politikwissenschaftler und Philosophen, alles Verfassungsfeinde...


    Tobius:
    "doch eine freie Gesellschaft muss auch immer wieder sich selbst infrage stellen. "


    **Richtig. Randgruppen for the win! Haltet uns den Spiegel vor!


    Tobius:
    "Ich glaube nicht an ein Ende der Geschichte, "


    **Wohl auch schlau, nur das jüngste Gericht kann mich vom Gegenteil überzeugen!


    Tobius:
    "somit glaube ich auch nicht an ein Ende der gesellschaftlich-kulturellen Entwicklung. "


    **Zwangsläufig dann, Toynbee wäre hier vielleicht interessant.


    Tobius:
    "Zudem schon Aristoteles in der Antike die Demokratie nicht als "rechte" Verfassungsform, sondern radikal als "entartet" bezeichnete - sie auf eine Stufe stellte mit der Tyrannei."


    **Das stimmt so nicht ganz. Nach Aristoteles kann eine Demokratie zur Pöbelherrschaft entarten, das bedeutet aber nicht, dass die Demokratie per se entartet ist. Für Aristoteles war das Maßvolle das Entscheidende.


    Tobius:
    "Darum also die Frage: Demokratie. Und weiter?"


    **
    1) Platons Zyklus der Staatsformen
    oder
    2) etwas Neues, noch Unbekanntes



    Danke für den Hinweis, S.O.T., hoffe mal, jetzt ists etwas besser identifizierbar. Den Post in seiner ursprünglichen Form (Zitat mit Zwischenkommentaren) mochte die Technik wohl nicht, so kam dann dieser dabei raus...

  • Gentlewhisper: Ich habe eine Bitte an dich: Könntest du bei deinen nächsten Posts vielleicht die Zitat-Funktion benutzen? Ich habe beim Überfliegen deines Beitrages nicht gesehen, was nun von dir stammt und was von Tobius. Erst, als mir die Sterne aufgefallen waren, konnte ich deinen Text richtig lesen.

  • Tja als Beispiel was Demokratie anrichten kann, das Ergebnis unserer Nationalsratswahl vom Sonntag:


    BZÖ (extrem rechts) 11%
    FPÖ (rechtsextrem) 18%


    ich hab noch immer nicht zu Ende gekotzt.


    Demokratie wär toll wenn das Volk nicht aus so vielen grenzdebilen Paarhufern bestünde, die dem nächstbesten Marktschreier hinterherlaufen.

    Never be in company that you wouldn't want to die with.


    Any society that would give up a little liberty to gain a little security will deserve neither and lose both.

  • Demokratie (in welcher Spielart auch immer) wird meiner Beobachtung nach nur extrem selten als das non plus ultra der Regierungsformen angesehen, sondern vielmehr als die beste aller praktikablen Möglichkeiten. Das ist ein großer Unterschied.


    Die Aussage "Demokratie ist die beste Staatsform für dieses Land zu diesem Zeitpunkt" ist schlichtweg eine Einschätzung, die die allermeisten, die sie vertreten, auch vernünftig begründen können.
    Und wie jede Einschätzung, die Menschen vornehmen, kann sie falsch sein. Dennoch hat das mit Glorifizierung nichts zu tun.


    Der entscheidende Faktor für den Standpunkt, den jemand zu diesem Thema einnimmt, ist, was man zum Maßstab der Demokratie-Bewertung macht: Die optimale Regierungsform unter perfekten Bedingungen (dann muss einem unser jetziges System geradezu zwingend grässlich und schlecht vorkommen) oder die politische Realität in anderen praktizierten Systemen auf der Welt (dann kommt unser momentanes System nämlich auf einmal gar nicht schlecht weg).

    "Es war ein wunderschöner Augenblick, als der Bundestrainer sagte: Komm Stefan, zieh Deine Sachen aus, jetzt geht´s los."
    (Steffen Freund, ex-BVB)


    Charlie the Unicorn

  • Zunächst einmal halte ich es sinnvoll zu klären, was unter einer Demokratie verstanden wird.


    Ich sehe die deutsche Verfassung nicht als Demokratie an, eher als Oligarchie.
    Freilich hat der deutsche Stammesbürger das Recht, seine Regierungsinstitution selbst zu wählen. Leider hat er nur minimal Einfluss darauf, ob diese Partei nicht mit einer vom Wähler ungewollten Partei eine Koalition eingeht. Ich denke, beim Stichwort "Große Koalition" kann es nur Verlierer geben.
    Weiterhin hat der Bürger keinen direkten Eingriff auf die Politik - er kann seine Interessenvertreter wählen, aber die Einhaltung dieser Versprechen erscheint mir nicht gewährleistet, wie man vor einigen Jahren an Gerhards Wiederwahl erkennen musste: "Ich werde Steuersenkungen durchsetzen!" - "Sorry, Leute, kriege ich doch nicht hin, zahlt mal lieber mehr!" Klingt für mich nicht gerade nach der Macht des Volkes.
    Schließlich haben wir die Frage des Klassenstatus. "Die Grauen Panther" hatten nie wirklich eine Chance, dazu fehlen ihnen die Spendengelder für ordentliche Werbekampagnen. Tatsächlich ist Müller von Nebenan, seines Zeichens Dachdecker, auch eher selten in diesem großen Kuppelbau in Berlin anzutreffen - keine Bildung, kein Geld, keine Politik.


    Für mich ist die einzig wahre Form der Demokratie längst ausgestorben. Die guten alten Tonscherben-Abstimmungen des antiken Griechenland sind sehr schnell in Vergessenheit geraten. Unsere heutige "Demokratie" wurde hervorragend von Winston Churchill bewertet:
    "It has been said that democracy is the worst form of government except all the others that have been tried. "


    Was hält also das restliche Forum von unserer "Demokratie"? Deckname für eine Aristokratie der Staatsvertreter oder das höchste Gut, das so weise von unseren Vorvätern auf ewig in unserer Verfassung verankert wurde?

    Das Höllische Quartett on the Highway to Hell:
    Nightelf - Zukünftiger Höllenfürst Moosi I
    Lord Otto - Foltermeister, Rechte Hand des Fürsten
    Turin - Zuchtmeister, Linke Hand des Fürsten
    Little Imp - Manadieb des Fürsten

  • Zitat

    Original von Lord Otto
    Ich sehe die deutsche Verfassung nicht als Demokratie an, eher als Oligarchie.


    Zitat

    Artikel 20 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
    (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
    (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
    (3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
    (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.


    Zugegeben: Zwischen einer Verfassung und ihrer Realisierung kann durchaus eine Differenz bestehen, aber dass die deutsche Verfassung selbst undemokratisch sei, ist schlichtweg falsch.


    Übrigens ein sehr schönes Zitat, dass du da angeführt hast von Churchill, das trifft es meiner Meinung nach sehr gut.

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  • Offensichtlich besteht hier Einigkeit darüber, dass Demokratie nicht die perfekte Staatsform ist. Aber welche Alternativen gibt es? (Schließlich heißt der Thread Demokratie.Und weiter?)


    Wenn man davon ausgehen würde, dass sich die Gesellschaft in den nächsten Jahrhunderten kaum ändert, werden wohl in naher Zukunft (100-200 Jahre) fast alle Nationen über die Technologie von Atomwaffen verfügen und wahrscheinlich nicht nur Staaten, sondern auch kleinere Organisationen. Hinzu kommen die noch nicht abschätzbaren Folgen der immer weiter wachsenden Weltbevölkerung. Jedenfalls glaube ich nicht, dass die Demokratie, selbst wenn sie sich über die gesamte Welt verbreitet, stabil genug ist, um dauerhaften Frieden zu garantieren. Und ein Krieg (ausgelöst z.B. durch gewählte extremistische Parteien oder Terroristen) würde wahrscheinlich bald zum Atomkrieg werden.
    Anders formuliert: Sollte es keine gesellschaftliche Weiterentwicklung geben, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Menschheit in 10000 Jahren noch existiert.


    Was gibt es also für Möglichkeiten? Da die meisten idealisierte Staatsformen noch nicht realisierbar sind, fallen sie in den Bereich der Utopien. Ich habe hier mal ein paar zusammengeschrieben:



    Utopien:

    • Direkte Demokratie: Habe ich eigentlich nur hier reingeschrieben, weil sie manche für eine bessere Staatsform halten ich sicher nicht. 8o In einer Extremform würde das Volk wahrscheinlich periodisch die Aufhebung bestimmter ungerechter Steuern beschließen, bis irgendwann gar keine Steuern mehr da sind und die Gesellschaft im Chaos versinkt. :D Aber auch sonst halte ich das Prinzip einer großen Zahl von Volksabstimmungen für fragwürdig. Die Bevölkerung hat einfach nicht die Zeit und Kenntnisse, um dutzende Seiten eines Vertrags zu lesen und zu verstehen; da ist es besser, kompetentere Menschen entscheiden zu lassen.


    • Sophokratie: Platon entwickelte in der Antike die Idee, es sollten immer die Weisesten, also die Philosophen (, d.h. er selbst ;) ) herrschen. Über eine staatliche Erziehung sollten diese Intelligentesten/ Sozialsten ermittelt werden. Es handelt sich damit sicher nicht um eine Demokratie, sondern eher um eine Monarchie, bei der aber der Thronfolger nicht durch Vererbung oder Wahl festgelegt wird, sondern sozusagen durch den gesellschaftlichen Aufstieg.
      In einer moderneren Form ist diese Utopie auch in Banks Kultur-Zyklus beschrieben: Dort wird die menschliche Gesellschaft durch hochintelligente KIs (in einer positiven Form) kontrolliert und organisiert. (-> technologische Singularität)


    • Anarchie: Unter Anarchie versteht man in diesem Sinn natürlich nicht Chaos oder eine Rückkehr in die Steinzeit, sondern Ordnung ohne Zwang, die darauf basiert, dass der Staat als Herrschaftssystem aufgelöst wird und sich die Bevölkerung freiwillig richtig verhält.
      Es ist hier schwierig, ein Beispiel aus der Literatur zu finden am passendsten ist vielleicht die Schwesternschaft der Bene Gesserit aus Dune. Dabei handelt es sich zwar nicht um eine Zivilisation, sondern eher um eine Art Orden, aber es wird trotzdem deutlich, dass es in ihrer Organisation kaum Hierarchien gibt. Die Grundlage dafür ist ihr Erziehungssystem, das gewissermaßen darauf ausgerichtet ist, sämtliche egoistischen Verhaltensweisen zu beseitigen und ihre Schüler zu 100%ig loyalen, aber auch selbstständig denkenden Menschen zu machen.


    • Schließlich kann es auch sein, dass es einfach keine wirklich langfristig stabile Staatsform gibt und jede (technisch) hochentwickelte Zivilisation nach ca. 10000 Jahren zusammenbricht. Dieses Szenario wird ebenfalls in vielen Science-Fiction-Romanen beschrieben (z.B. in Vernor Vinges Eine Tiefe am Himmel). Meistens überlebt die Menschheit da nur, indem sie sich schneller auf andere Planeten ausbreitet, als sie sich selbst vernichten kann. :-#


    Am besten unter diesen Möglichkeiten gefällt mir persönlich die Anarchie (, obwohl sie selbstverständlich genauso wie alle anderen Utopien momentan keinesfalls umsetzbar ist). Erforderlich wäre dafür zunächst einmal wohl eine völlige Umstrukturierung des Schulsystems, das sich nicht einseitig auf die Vermittlung von Wissen konzentrieren dürfte, sondern verstärkt Charaktereigenschaften wie Geduld, Kooperation und Selbstvertrauen trainieren müsste.


    Im Unterschied zur Monarchie und zur Demokratie basiert Anarchie nicht auf Zwang, sondern auf Manipulation. Geht die Manipulation allerdings in die falsche Richtung, können faschistische Ideologien und damit die denkbar schlechteste Staatsform überhaupt entstehen. Andererseits haben auf Zwang beruhende Staatsformen immer gewisse Grenzen: Man kann z.B. niemand zwingen, nicht auf Kosten anderer Millionen zu verdienen, solange das legal ist.


    Hm, der Text ist ganz schön lang geworden. Ich könnte noch mehr schreiben, aber ich denke, das reicht jetzt erst mal.

    Die kausale Unabhängigkeit der Quarks von unserer Rede ist kein Merkmal der Realität (im Sinne des Gegenteils der Welt des Scheins), sondern sie ist einfach ein unbezweifelter Bestandteil unseres Redens über Quarks.
    Richard Rorty

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  • Anarchie ist nicht nur momentan keinefalls umsetzbar, sie wird es auch niemals sein, da sie ein hoffnungslos unrealistsich-positives Menschenbild voraussetzt.


    Aber Egoismus (quasi das Feindbild eines jeden Anarchen) ist etwas natürliches, ihn völlig aulöschen zu wollen und/oder zu verleugnen ist nichts anderes als eine Form von Perversion, ein neuer Faschismus ("Pass dich der totalen gesellschaftsdienlichkeit an oder geh vor die Hunde!).
    In unserer jetzigen gesellschaft darft du sowohl egoistsich als auch Altruistisch sein, es ist dein Wahl. Anarchie lässt dir diese Wahl nicht, sie ist ein als Gummibärchenland getarntes Zwangs-System.

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  • Zitat

    Anarchie ist nicht nur momentan keinefalls umsetzbar, sie wird es auch niemals sein, da sie ein hoffnungslos unrealistsich-positives Menschenbild voraussetzt.


    Das Menschenbild ist zur Zeit sicher unrealistisch, aber Utopien beziehen sich auf eine relativ ferne Zukunft und ich bezweifle, dass sich der Charakter des Menschen im Laufe von Jahrtausenden nicht deutlich verbessern lässt.
    Bisher wurde im Bereich der Erziehung aber nicht viel Aufwand betrieben, im Gegensatz etwa zur Forschung im technischen Bereich. Meiner Meinung nach hinkt die menschliche Entwicklung weit hinter der technischen zurück ganz einfach deshalb, weil letztere wirtschaftlich viel besser umsetzbar ist.
    Zudem erfordert Anarchie keinen perfekten Menschen. Es gibt sicher auch jetzt schon genügend Personen, die selbstständig einsehen, welches Verhalten nicht mehr vertretbar ist, ohne dass dafür Gesetze und Strafen existieren müssten.


    Zitat

    Aber Egoismus (quasi das Feindbild eines jeden Anarchen) ist etwas natürliches, ihn völlig aulöschen zu wollen und/oder zu verleugnen ist nichts anderes als eine Form von Perversion, ein neuer Faschismus ("Pass dich der totalen gesellschaftsdienlichkeit an oder geh vor die Hunde!).


    Ich stimme zu, dass Egoismus etwas Natürliches ist, in dem Sinn, in dem ein Mensch nicht gegen seinen eigenen Willen handeln kann.
    Ein Problem ergibt sich erst dann, wenn eine (egoistische) Entscheidung nicht mehr moralisch ist ( ,was ja gerade im Kaptalismus ziemlich oft passiert). Ich bin nicht für eine Menschheit, in der sich jeder bedingungslos für alle anderen aufopfert, sondern eine, die andere Menschen in ihren Entscheidungen genauso berücksichtigt wie sich selbst.
    Wenn man also Egoismus (wie von mir gedacht) als Rücksichtslosigkeit gegnüber anderen versteht, bin ich durchaus dafür, ihn durch Erziehung zu bekämpfen.


    Zitat

    In unserer jetzigen gesellschaft darft du sowohl egoistsich als auch Altruistisch sein, es ist dein Wahl. Anarchie lässt dir diese Wahl nicht, sie ist ein als Gummibärchenland getarntes Zwangs-System.


    ok, ich sehe das Problem. Übertrieben formuliert: Man darf keinen Verbrecher einer Gehirnwäsche unterziehen oder durch Manipulation seine Persönlichkeit zerstören (das wäre praktisch Mord) ohne ihm nicht zumindest die Wahl zu lassen, ins Gefängnis gehen zu können. Dieses Prinzip sollte nattürlich auch in einer Anarchie für Verbrecher gelten (Ich muss zugeben, dass Verbrecher in einer Anarchie ohne Gesetze schwer zu definieren ist).


    Aber im Bezug auf andere Bürger: Hat man in unserer jetzigen Gesellschaft wirklich die Wahl? Man wird auch in einer Demokratie durch das Umfeld und die Erziehung der Eltern geformt, allerdings sind die Faktoren mehr oder weniger stark durch den Zufall bestimmt (Haben die Eltern Zeit für die Kinder? Wächst man in einem Großstadtviertel mit hoher Kriminalität auf?). Der Unterschied zur Anarchie besteht nur darin, dass diese die Erziehung professionalisiert, organisiert (was zweifellos riskant ist) und auf ein Ziel ausrichtet nämlich auf einen ausgeglicheneren, integreren Menschen.
    Ziel der Anarchie ist es jedenfalls nicht, jemanden in eine altruistische Lebensweise zu zwingen, sondern dafür zu sorgen, dass sich die Menschen freiwilllig für die altruistische Variante entscheiden.

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    Richard Rorty

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  • Zitat

    Original von Der Mentat
    Hat man in unserer jetzigen Gesellschaft wirklich die Wahl? Man wird auch in einer Demokratie durch das Umfeld und die Erziehung der Eltern geformt, allerdings sind die Faktoren mehr oder weniger stark durch den Zufall bestimmt


    Nur weil für das eine die Möglichkeiten höher sind als für das andere, ist man noch lange nicht ohne Wahl. Wichtig ist: Im jetzigen System wird altruistisches Handeln nicht sanktioniert, dein sozialer Status sinkt nicht wenn du dich dafür entscheidest. In einer Anarchie hingegen wird der, der einen egoistischen Weg einschlägt zwangsweise von der Gesellschaft isoliert (=bestraft), weil sich dies mit dem Gesellschaftssystem nun mal nicht vereinen lässt.


    Zitat

    Der Unterschied zur Anarchie besteht nur darin, dass diese die Erziehung professionalisiert, organisiert (was zweifellos riskant ist) und auf ein Ziel ausrichtet nämlich auf einen ausgeglicheneren, integreren Menschen.


    Womit "Die Gedanken sind frei" endgültig stirbt. Nein, danke. "Organisierte Erziehung" hatten wir hier in Deutschland schon zu NSDAP-Zeiten... was du ja auch nicht vergisst (Geht die Manipulation allerdings in die falsche Richtung, können faschistische Ideologien und damit die denkbar schlechteste Staatsform überhaupt entstehen.). Mich wundert halt nur wie du dieses gigantische Problem - das geradezu selbstläufermäßig eintreten würde - zwar siehst, aber nicht entsprechend wertest.


    Zitat

    Ziel der Anarchie ist es jedenfalls nicht, jemanden in eine altruistische Lebensweise zu zwingen, sondern dafür zu sorgen, dass sich die Menschen freiwilllig für die altruistische Variante entscheiden.


    Die direkte Zielsetzung ist es natürlich nicht, aber doch die logische Konsequenz. Denn wenn man ein Volk soweit hat, dass sich alle für das selbe entscheiden, dann hat man nur noch einen haufen seelenloser Zombies ohne eigene Identität. Die wird dann nämlich durch die Volksidentität ersetzt.

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    Charlie the Unicorn

    Einmal editiert, zuletzt von Zork ()

  • Zitat

    Im jetzigen System wird altruistisches (?? , du meinst egiostisches, oder?) Handeln nicht sanktioniert, dein sozialer Status sinkt nicht wenn du dich dafür entscheidest. In einer Anarchie hingegen wird der, der einen egoistischen Weg einschlägt zwangsweise von der Gesellschaft isoliert (=bestraft), weil sich dies mit dem Gesellschaftssystem nun mal nicht vereinen lässt.


    Durch egoistisches Verhalten (im Sinn von rücksichtslosem Verhalten) isoliert man sich eher selbst auch in einer Demokratie. Meiner Meinung nach ist die Isolation in einer Anarchie sogar geringer, weil da eher versucht würde, die Person von ihrem Verhalten abzubringen und Egoismus in einer Gesellschaft, in der Altruismus vorherrscht (Altruismus ist vielleicht zu stark, rücksichtsvolles Verhalten würde theoretisch auch reichen), leichter kompensiert werden kann.


    Zitat

    Nur weil für das eine die Möglichkeiten höher sind als für das andere, ist man noch lange nicht ohne Wahl. []Womit "Die Gedanken sind frei" endgültig stirbt.


    Das führt wahrscheinlich in eine Diskussion über die Willensfreiheit. :rolleyes:
    Menschliche Entscheidungen basieren zum einen Teil auf deterministischen Zwängen (das ist der Teil, der logisch begründbar ist -> Gene, Erziehung) und zweitens auf Zufall (der Rest). Wenn ich in einer Umgebung aufwachse, die mich schließlich zu der Einsicht bringt, dass moralisches Handeln besser ist, entscheide ich mich zwangsläufig auch dafür (vorausgesetzt es gibt keine anderen Gründe, die dagegen sprechen), treibt einen die Umwelt in den Egoismus, ist die Wahl ebenso eindeutig. Das Argument, das man durch innere Reflexion zu einer anderen Wahl kommen könnte, funktioniert nicht, weil auch diese Reflexion ein Grund wäre, der irgendwo seinen Ursprung hat.
    Tritt die (unwahrscheinliche) Situation ein, dass gleich viele Argumente für und gegen moralisches Verhalten sprechen, wird sich die Entscheidung logischerweise aus dem Zufall ergeben. Ich würde auch da nicht wirklich von einer freien Wahl sprechen.


    Zitat

    "Organisierte Erziehung" hatten wir hier in Deutschland schon zu NSDAP-Zeiten... was du ja auch nicht vergisst. [] Mich wundert halt nur wie du dieses gigantische Problem - das geradezu selbstläufermäßig eintreten würde - zwar siehst, aber nicht entsprechend wertest.


    Warum sollte dieses Problem selbstläufermäßig eintreten müssen?
    Erziehung ist doch zunächst mal grundsätzlich etwas Positives. Und auch organisierte Erziehung erscheint mir sinnvoll (das bedeutet ja nicht das Kinder den Eltern weggenommen werden usw.).
    Wichtig ist eben die Motivation, die dahintersteht und die war zur NSDAP- Zeit sicher nicht ethisch. Es gibt aber genügend Menschen, die nach ethischen Prinzipien handeln und dies sollte theoretisch wiederum ein ethisches Erziehungssystem möglich machen. Genausowenig wie jede Monarchie eine Tyrannei ist, wird eben hier nicht für die Kinder der Stellenwert des Nationalismus gefördert, sondern - im Gegnteil der Stellenwert der Moral.


    Zitat

    Denn wenn man ein Volk soweit hat, dass sich alle für das selbe entscheiden, dann hat man nur noch einen haufen seelenloser Zombies ohne eigene Identität. Die wird dann nämlich durch die Volksidentität ersetzt.


    Hm das klingt so, als würde man versuchen, den Menschen die Intelligenz abzuerziehen und sie dann noch mit Drogen vollpumpen, damit sie alle friedlich sind und harmonisch miteinander leben. Aber das Ziel ist doch selbstständiges Denken und die Einsicht in die höhere Priorität der Moral. Auch in Deutschland eintscheiden sich 99,9% der Bevölkerung dagegen, terroristische Anschläge zu verüben, ohne deswegen seelenlose Zombies ohne Entscheidungsfreiheit zu sein.

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    Richard Rorty

  • Dystopie der Anarchie
    Hm, mich verwundert eure augenscheinliche Annahme (Zork, Mentat) über das Wesen der Anarchie, die bei euch dargestellt wird als freiheitlich-gleiche Gesellschaftsform konstituiert durch Ordnung ohne Herrschaft.


    Müsste Anarchie nicht nach Zorks Selbstläufer-Prinzip automatisch in gesellschaftliches Chaos führen, da eben allein der eigene Egoismus ausschlaggebend für das Handeln wird, wenn keine institutionelle Gewalt mehr existiert?


    Würde die Anarchie in praxi nicht eigentlich stets zu der Situation führen, in der jeder sein eigenes Ding durchzöge und das Recht des Stärksten bzw. Rücksichtslosesten gölte?


    Diverse anarchistische Experimente à la Christiania sind letztendlich nach wie vor dem Regulativ des Staates unterworfen, in dem sie verortet sind, was ein Hauptgrund sein dürfte, weshalb dort diese zuvor genannte Endkonsequenz einer wahren Anarchie noch nicht eingetreten ist. Der zweite Grund ist schlichtweg der Umstand, den Zork bereits nannte: Exklusion divergierender Individuen.


    NS-Ethik
    Im Übrigen lag der NS-Diktatur durchaus eine gewisse Ethik zu Grunde. Nur ist diese halt vordergründig nicht mit den Werten bzw. mit der Ethik der Aufklärung, welche schließlich auch unserer Verfassung zu Grunde liegt, vereinbar.


    Zwanghafte Moral
    Was, Mentat, sind deiner Ansicht nach Gründe, die für die notwendige Existenz universell gültiger Normen, Werte, Regeln und somit einer Moral sprechen?


    Schließlich scheinen Altruismus und Moral für dich generell erstrebenswert zu sein...

  • Zitat

    Original von Tobius
    Müsste Anarchie nicht nach Zorks Selbstläufer-Prinzip automatisch in gesellschaftliches Chaos führen, da eben allein der eigene Egoismus ausschlaggebend für das Handeln wird, wenn keine institutionelle Gewalt mehr existiert?


    Würde die Anarchie in praxi nicht eigentlich stets zu der Situation führen, in der jeder sein eigenes Ding durchzöge und das Recht des Stärksten bzw. Rücksichtslosesten gölte?


    Ja, das ist es, wovon ich ausgehe. Und beschreibt gleichzeitig die Form des "Chaos" (falsches Wort im Gunde), von der ich ausgehe: Eine willkürliche Ordnung ohne Moral (bzw. einer willkürlichen Moral, nämlich der der/des Rücksichtslosesten und Durchstzungsstärkten), die mit dem Begriff Ordnung im gegenwärtig üblichen Sprachgebrauch nur noch wenig gemein hat - auch wenn es natürlich eine Ordnung im Sinne von "hat eine erkennbare Struktur" ist.


    Kann mich dir ansonsten nur anschließen, Tobius.

    "Es war ein wunderschöner Augenblick, als der Bundestrainer sagte: Komm Stefan, zieh Deine Sachen aus, jetzt geht´s los."
    (Steffen Freund, ex-BVB)


    Charlie the Unicorn

    Einmal editiert, zuletzt von Zork ()

  • Würde man versuchen, eine Anarchie wie sie in Christiania besteht, auf der ganzen Welt zu verbreiten, würde das mit Sicherheit zu einem Chaos führen und zu einer Rangordnung nach dem Prinzip des Stärkeren (, was die Anarchie schon wieder zerstören würde). Hier stimme ich euch eindeutig zu.


    Anarchie, so wie ich sie mir als Utopie vorstelle, ist nur unter der Voraussetzung umsetzbar, dass es möglich ist, unter massiver Forschung im Bereich der Pädagogik (inklusive Studien und Experimenten) und erheblichem Aufwand in der Erziehung, die Persönlichkeit des Menschen hinreichend moralisch zu verbessern (, zum Punkt Moral komme ich weiter unten noch).
    Ich habe keine Ahnung, ob das machbar ist, aber solange es kein Land gibt, in dem die Schule mehr auf Erziehung als auf Wissensvermittlung ausgerichtet ist und Eltern pädagogisch ausgebildet werden, lässt sich das schwer nachprüfen.
    Zudem würde sich ein solches Erziehungssystem von selbst verbessern, denn sobald einmal die erste Generation die Schule durchlaufen hat, sind diese auch als Eltern bessere Vorbilder, was wiederum für die Entwicklung der nächsten Generation förderlich wäre.
    Jedenfalls muss die moralische Entwicklung zumindest so weit reichen, dass die Menschen bereit sind, auf ihr Recht als Stärkere zu verzichten.
    Ein gewisser Prozentsatz Krimineller ist allerdings vermutlich unvermeidlich, Gefängnisse wird es also auch weiterhin geben.



    Zum Thema Moral:


    Erstrebenswert ist Moral für mich auf jeden Fall. Ohne Moral bliebe wohl nur noch eine epikuräische Lebensphilosophie: Streben nach individuellem Glück und Vergnügen.


    Beweisen kann ich die Existenz von Ethik und Moral natürlich nicht, genausowenig wie ich die Existenz Gottes beweisen kann. Kant hat ja zumindest versucht, beides zu verknüpfen.
    Prinzipiell halte ich es also eher für eine Glaubensfrage. Für mich ist z.B. Leben etwas Positives, also ein Wert, aber logisch begründen kann ich das eigentlich nicht. Vielleicht ließe sich darauf zumindest ein mathematisch-axiomatisches Ethiksystem aufbauen :D müsste man mal ausprobieren.

    Die kausale Unabhängigkeit der Quarks von unserer Rede ist kein Merkmal der Realität (im Sinne des Gegenteils der Welt des Scheins), sondern sie ist einfach ein unbezweifelter Bestandteil unseres Redens über Quarks.
    Richard Rorty

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