Die Vielzahl der - in 2000,2006,2012 - was soll das? zu findenden - dargelegten Äußerungen zum Krieg halte ich für zu simplifizierend bezüglich der Signifikanz dieses Komplexes in der Menschheitsgeschichte.
Aus diesem Grund möchte ich hier einen Faden diesbezüglich spinnen, da sich dieser Themenkomplex weit vom eigentlichen Thema des Ursprungsfadens entfernt.
Generell soll gesagt sein, dass ich einseitig absolutierenden Aussagen gegenüber äußerst skeptisch eingestellt bin. Ohne die Frage nach dem Wert der Wahrheit hier anreißen zu wollen, beschränke ich mich darauf, zu konstatieren, dass es in praxi meiner Erkenntnis nach nicht e i n e Wahrheit geben kann, die als objektiv und nicht hinterfragbar bezeichnet werden könnte.
Über das Maß der subjektiven Meinung hinaus gehend, wäre in meinen Augen vielleicht eine relative intersubjektive Wahrheit denkbar, aber das führt weg vom eigentlichen Thema.
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Ich möchte mich einmal ein wenig aus den Fenster der Politischen Korrektheit lehnen und behaupten, dass es simplifizierend ist, den Krieg als absolutes Böse zu kennzeichnen.
Müsste man diesen Komplex nicht auch im größeren historischen Rahmen betrachten, da der Krieg schließlich seit Anbeginn der Menschwerdung untrennbar mit dem Menschsein im Zusammenhang steht?
Aus dieser Perspektive ergibt sich für mich nahezu zwingend der Schluss, dass sich die Rezeption und Wertung des Krieges im Laufe der Zeiten gewandelt hat und noch immer im Wandel begriffen ist.
Das Bild vom Krieg als dem Urbösen, als Geißel der Menschheit, ist dieses Bild nicht hauptsächlich durch das industrialisierte 20. Jahrhundert verfestigt worden? Durch die beiden Weltkriege? Durch die unzähligen Kriege nach dem Ende des Kolonialismus insbesondere in Afrika?
Nun lehrt uns die Psychologie, dass unter Besiegten eindeutige Tendenzen zur Abwertung des Krieges zu verzeichnen sind. Ich kann an dieser Stelle explizit das deutsche Volk nennen, wenn ich etwa an die Parolen à la "Nie wieder Krieg" u.ä. erinnern möchte, doch reicht es bereits die Beiträge aus dem Ursprungsfaden anzuführen, die in dieselbe undifferenzierte Denkstruktur hineinragen, aus der jene absoluten "Wahrheiten" entstammen.
Ist es nicht so, dass Kriege in der Historie stets auch Triebfedern für Fortschritt waren? Für das Formen der Basis unserer westlichen Welt im alten Griechenland? Für das Gründen der Zivilisation im Imperium Romanum? Für das Überkommen des Mittelalters und der kirchlichen Hegemonie infolge der Reformationskriege? Für das Entflammen der Aufklärung? Für Kants Postulat des "Ewigen Friedens"? Für die Geburt des Völkerrechts? Für die Demokratie in Deutschland? Für die Befreiung vom Nationalsozialismus? Für die Erstellung der Charta der Vereinten Nationen über die Menschenrechte?
Ganz zu schweigen von den unzähligen Erfindungen in wissenschaftlicher Forschung, von denen das Internet als die genannt sein soll, welche in Zukunft das Leben wohl am stärksten zu beeinflussen vermag.
Greift hier Schwarz-Weiß-Denken, Einteilen in einfachste moralische Muster von Gut und Böse und das schon religiös anmutende Verdammen des Krieges nicht zu kurz?
Das Problem in der heutigen Zeit besteht darin, dass im Laufe der Zeit das Zerstörungspotential des Krieges immer mehr zunahm und sich nicht länger nur auf die Soldaten beschränkte, sondern auf die Zivilbevölkerung ausweitete, was sich als bisheriger Scheitelpunkt im zweiten Weltkrieg in Europa und Asien zeigte.
Hierbei möchte ich jedoch zu denken geben, dass hinter dem Nationalsozialismus als Aggressor eine per se absolut menschenverachtende Ideologie stand, die mit dem Vernichtungskrieg und der Shoa unvorstellbare Dimensionen der Grausamkeit eröffnete, wobei auch auf Seiten der Alliierten die gewaltigen Bombardierungen deutscher Städte zumindest nicht als Bagatellen gewertet werden können. Jedoch zeigt sich im Einsatz der Atombombe durch die USA eine Stufe von beispielloser Singularität für das willentliche Degradieren von zivilen Opfern zu Kollateralschäden auf Seiten als "zivilisiert" geltender Systeme.
Der Krieg ist auch heute noch im Wandel begriffen, wie gegenwärtig nicht besser als am Erscheinen des asymmetrischen Krieges deutlich wird, dem sich aktuell z.B. die UN in Afghanistan stellt und mit dem Israel im Kampf gegen die Hamas umzugehen hat. Dieser Wandel ist Konsequenz aus den neuen Dimensionen des industrialisierten Krieges.
Doch darf man vor diesem noch zeithistorisch nahen Hintergrund meiner Meinung nach nicht in induktiver Weise ein absolutes Wesen des Krieges postulieren.
Als Beispiel soll hier noch einmal das Altertum mit dem Imperium Romanum dienen, dass in großartiger Weise unzählige Völker der alten Welt vereinte, nicht in einem totalitären System, sondern in der ersten - für damalige Maßstäbe - freien Zivilisation der Menschheit, die geschmiedet worden war durch das Kurzschwert der Legionen.
Im Aufrechterhalten des Status Quo ist ein Fortschritt unmöglich, denn Dynamik ist Voraussetzung für Fortschritt, der selbst wiederum dynamisierend wirkt. Doch eine Dynamik kann nur in Verbindung mit Antagonisten entstehen, durch die sich Veränderungen erst konstituieren, die Bedingung für Dynamik sind.
In historisch weiter entfernten Zeiten waren Krieg und Frieden die Antagonisten, welche dynamische Veränderungen hervorbrachten, welche nicht Feinde, sondern das Leben selbst darstellten. Krieg war somit in gewisser Weise Teil des Leben.
Das Dilemma besteht nun darin, dass sich der Krieg in der Moderne anscheinend zum Feind des Lebens entwickelt hat, denn sein primäres Ziel ist nicht länger das Aufrechterhalten des dynamischen Systems, sondern dessen Vernichtung, das Erreichen eines perspektivistischen Status Quo, wie er sich z.B. bei den Nationalsozialisten in der Weltherrschaft der Herrenrasse zeigte.
Damit jedoch ist das Uralte Gleichgewicht zerstört, weshalb nun auch der Frieden nicht länger dynamisierend, sondern ebenso statisierend wirken muss, um im Interesse seiner Selbst weiterhin zum Leben zählen zu können, was sich bereits sehr früh in Kants Ideal vom "Ewigen Frieden" zeigte.
Hierdurch verändert sich jedoch auch das Leben, das nun ironischerweise Lebendigkeit verliert, da Leben nunmehr Aufrechterhalten des Status Quo bedeutet.
Wie dieser aussieht, das hängt von der jeweiligen Perspektive ab. In der westlichen Welt ist es der Frieden, der allein das Sein definiert, da infolge seines Wesenswandels der Krieg nurmehr Nicht-Sein bedeutet.
In anderen Regionen der Welt hat sich jedoch der ursprüngliche Antagonist durchgesetzt, wo sich Leben heute nur noch über Krieg definiert.
Das Problem, das ich im Status Quo sehe, ist sein Potential der Dekadenz. Auch hier sei in Analogie zum vorhergehenden Beispiel an das alte Rom erinnert, dass in unzähligen Jahren des weitestgehenden Friedens nach innen wie nach außen dem Untergang geweiht war.
Dieses Problem kann gefährliche Konsequenzen nach sich ziehen, wenn man bedenkt, dass der Untergang des Imperium Romanum tausend Jahre finsteres Mittelalter und Hegemonie des Christentums bedeutete.
Gruß
Tobius